Predictive Maintenance – von der Datenerfassung über die Prognose zum reibungslosen Betrieb
Wo ist eigentlich der beste Ort für einen Herzanfall? Eine etwas zynische Frage aus dem Themenkomplex Chancen und Risiken. Wenn uns denn schon ein medizinischer Notfall heimsuchen möchte, von dem wir hoffen, dass er nie eintritt, dann am ehesten direkt vor einer Klinik, oder? Möchte man meinen, denn im Ernstfall zählt jede Sekunde. Es geht aber schneller. Wo? Im Bereich der Boxengasse einer Rennstrecke. Jede Box einer vernünftig ausgestatteten Anlage ist mit Notfalltelefon ausgestattet und auch bei Hobbyveranstaltungen ist ein kampferprobter Notfallmediziner im wahrsten Sinne des Wortes sprungbereit und kann innerhalb von 90-120 Sekunden jeden Punkt der Rennstrecke erreichen, die Boxengasse natürlich entsprechend schneller. Gut, ab diesem Punkt kann sich vortrefflich eine Diskussion entfalten, ob es nicht doch irgendwo Orte gibt, an denen kundige Hilfe schneller zur Stelle ist. Es ging ja aber nur um ein Beispiel, um den Blick für das vielleicht nicht ganz so Naheliegende zu öffnen.
Wie nun aber den Bogen spannen von einem medizinischen Szenario zum Thema Predictive Maintenance und womöglich zum Unternehmen DATATRONiQ? Es geht beim Menschen wie bei Maschinen und Industrieanlagen um komplexe Systeme, um verwundbare Punkte, im weitesten Sinne um Störungen bzw. Ausfälle und allzu oft geht es mittelbar oder unmittelbar um Menschenleben. Und bei aller Optimierung der Reaktionsgeschwindigkeit darf in beiden Betrachtungen nicht der Blick dafür verloren gehen, dass es anzustreben gilt, Vorfällen und Ernstfällen bereits weit im Vorfeld ihres Eintretens entgegenzuwirken. Vorbeugen ist erfahrungsgemäß besser als Heilen.
Routinewartung nach sturem Plan
Bezogen auf technische Einrichtungen äußert sich diese Erkenntnis in Service- und Wartungsintervallen für Gesamtanlagen und Komponenten. Regelmäßig erneuerte Filter, Schmiermittel und Verschleißteile sorgen für zuverlässigen Betrieb und eine lange Lebensdauer der Gesamtanlage. Aber wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Wartung oder den Austausch einer Komponente? In vielen Fällen setzte und setzt man auf vorbeugenden Instandhaltung, also auf vorsorgliche Wartung in festgelegten Intervallen. In die Gestaltung dieser Intervalle gehen Ergebnisse von Tests unter Laborbedingungen sowie mehr oder weniger standardisierte Erfahrungswerte ein, die unter anderem bestimmen, was im Rahmen einer Wartung zu prüfen ist und wann Baugruppen oder Einzelteile auszutauschen sind.
Per Design lässt sich aber nur schwer alles so auslegen, dass regelmäßige Wartungsintervalle für alle Komponenten einer Anlage in jedem Einsatzgebiet passen. Dazu sind die Komponenten zu vielfältig und vor allem die Beanspruchung in der jeweiligen individuellen Anwendung. Hinzu kommen unvorhersehbare Schwankungen der Beanspruchung durch komplexe Betriebs- und Umgebungsbedingungen wie Einsatzbereich, Temperatur, Staub, Länge des jeweiligen Einsatzes, Luftfeuchtigkeit usw. Was für eine stationäre Industrieanlage sinnvoll sein kann, kann sich bei einem Windpark oder einem Containerschiff ganz anders darstellen. Die Schwankungsbreiten der Rahmenbedingungen werden deutlich, wenn man sich zum Beispiel die Unterschiedlichkeit der Belastungen einer Erntemaschine im Sommer 2017 und 2018 vor Augen führt. War die Ernte 2017 durch kraftaufwendiges feuchtes Getreide auf nassen Böden, häufige Unterbrechungen und den Bedarf für schnelle Einsatzbereitschaft geprägt, so forderte der Sommer 2018 mit Hitze und Staub heraus. Und ebenso unterschiedlich fiel die Belastung auf die Maschinerie aus.
Entsprechend schwierig gestaltet sich die präzise Planung der vorsorglichen Wartung. Immer gilt jedoch, dass es wirtschaftlich wie menschlich attraktiver ist, einen geplanten Austausch vorzunehmen als spontan an Feiertagen oder im Saisongeschäft bei laufender Anlage unter miesen nächtlichen Bedingungen reparieren zu müssen.
Idealbild – kontinuierliche fachmännische Begutachtung
Wie sieht im Gegensatz zur stringent geplanten Wartung eine perfekte vorausschauende Wartung aus? Zum Beispiel in etwa so: Stellmotor alle 10 Minuten ausbauen, zerlegen und einer fachmännischen Begutachtung unterziehen - also nicht nur prüfen, messen, lehren, sondern auch den Augenschein und das Fingerspitzengefühl zu Worte kommen lassen, oder sogar daran riechen - und das alles, ohne den Betrieb zu unterbrechen. Das mag in der Theorie ideal sein, ist aber schlichtweg Quatsch.
Schon immer hat man in der Humanmedizin wie in der Technik auf indirekte Zustandsüberwachung gesetzt: warum also nicht den kleinen Patienten erstmal abhorchen, bevor man ihn aufmacht? Ein eindrucksvolles Beispiel für dieses Vorgehen zeigt der in die Jahre gekommene Film „Das Boot“, in dem Maschinist Johann (das „Gespenst“) den Antrieb seines U-Boots per Stethoskop bzw. Hörrohr überwacht und kleinste Abweichungen des Ventilkonzerts mit Ölkanne und Fettpresse begegnet. Allerdings sind solche feinfühligen Techniker teure Mangelware. Und sie haben darüber hinaus den entscheidenden Nachteil, dass sie schlafen müssen.
Predictive Maintenance – der automatisierte Fachmann
Das Stethoskop lässt sich heute kostengünstig durch Sensorik ersetzen, die Vibrationen bzw. Körperschall hochauflösend und mit hohen Abtastraten also extrem genau erfasst. Die fachkundige Analyse der gewonnen Daten erfordert allerdings hochentwickelte Analyseverfahren. Anschaulich wird dies am Beispiel einer Videoüberwachung.
Die Bilder einer Kamera am Eingangsbereich eines Kraftwerks auf einen Bildschirm zu bekommen, ist keine große Kunst mehr. Man kann nun einen Menschen vor diesen Bildschirm setzen, der Tag und Nacht auf den Bildschirm starrt und Maßnahmen einleiten kann, wenn sich eine verdächtige Person nähert. Das ist teuer und fehleranfällig, da es sich um eine manuelle und gleichzeitig ermüdende Arbeit handelt. Die erste Generation Videoanalysesoftware sorgte für die Detektion von Bewegungen im Kamerabild – da ist etwas, was in der Folge durch einen Menschen genauer betrachtet werden sollte. Die folgende Generation Videoanalysesoftware konnte schon zielsicher Menschen von zum Beispiel streunenden Hunden oder Blattwerk unterscheiden, das sich im Wind bewegt. Das bedeutet weniger Alarme und weniger notwendige Alarmverifikation durch Wachpersonal. Per Gesichtserkennung kann die detektierte Person klassifiziert werden – ist es der Betriebsleiter, der um 22:00 nochmal ins Werk kommt oder ist es eine betriebsfremde Person? Dabei schaut sich die Analysesoftware natürlich nicht die Bilder an, sie analysiert lediglich tagtäglich unzählige Pixel im anfallenden Datenstrom, erkennt Abweichungen von einem digitalen Soll-Bild und klassifiziert diese. Ja, wir ertrinken in Messdaten, und das gilt umso mehr, je höher die Auflösung des Kamerabildes ist. Mit Hilfe ausgereifter Analysewerkzeuge ist es aber möglich, den Terrabyte-weise anfallenden digitalen Daten automatisiert genau das zu entlocken, was wir wissen wollen: ist da jemand, dem wir nicht trauen sollten?
Im Rahmen der Zustandsüberwachung speziell mechatronischer Baugruppen entsteht mit entsprechender Sensorik zum Beispiel per Körperschallmessungen ein hochauflösendes akustisches Bild. Selbst neuwertige, hochpräzise gelagerte Baugruppen erzeugen Vibrationen, die für das menschliche Ohr möglicherweise nicht hörbar, durch das direkte Abtasten bzw. Messen am Maschinenelement jedoch gut erfassbar sind und so als Sollwertbasis herangezogen werden können. Auch hierbei wird im Rahmen der Analyse nichts nach menschlichen Maßstäben abgehört, sondern der anfallende digitale Datenstrom analysiert. Anomalien im digitalen Geräuschverlauf zu detektieren, möglicherweise weit bevor sie für das menschliche Ohr wahrnehmbar wird, ist der erste Schritt. Lernfähige Algorithmen wie die der datengetriebenen Zustandsüberwachung von DATATRONiQ lassen sich so trainieren, dass auch der zweite werthaltige Schritt gelingt – die Klassifikation. Wenn die Art der Abweichung in den Messwerten klar ist, sind fundierte Entscheidungen im Hinblick auf Maßnahmen möglich, denn es ist ein Unterschied, ob ein Lager sich langsam der Verschleißgrenze nähert oder aber die Lauffläche einer Lineareinheit, die direkten Einfluss auf die Qualität einer Produktion hat. Werden also die Analysewerkzeuge mit dem Expertenwissen der Praxis aufgerüstet, lässt sich ein Schaden nicht nur vorhersagen, sondern es können sogar genaue Aussagen dazu abgeleitet werden, welche Art von Schaden an welcher Stelle droht. Je mehr Daten gesammelt werden und je höher die Auflösung der Daten ist, desto präziser werden die abgeleiteten Erkenntnisse und Entscheidungsgrundlagen. Somit verliert die erdrückende Masse an Daten ihren Schrecken und kann automatisiert und nutzbringend verdichtet werden.
Die Vielfalt der zu erfassenden Messgrößen kennt kaum Grenzen. Drucksensoren liefern Daten für die Prozessüberwachung und unterstützen gleichzeitig das Aufspüren von Leckagen an hydraulischen und pneumatischen Systemen. Piezoelektrische Kraft- und Beschleunigungssensoren ermöglichen die Analyse mechanischer Lasten bei dynamischer Beanspruchung. Auch optische und thermographische Verfahren bieten erhebliches Potenzial zur Maschinen- und insbesondere Werkzeugüberwachung. Speziell indirekte Größen wie elektrische Antriebsströme geben Aufschluss über ein sich schleichend oder auch abrupt änderndes Lastverhalten, da sich der Antriebsstrom proportional zum Drehmoment verhält, das einem Antrieb abgefordert wird. Umgebungsbedingungen wie Temperaturen, Luftfeuchtigkeit usw. komplettieren das Gesamtbild, da der Lastfall nur so vollständig beschrieben werden kann. Viele der genannten Größen werden bereits erfasst und müssen lediglich erschlossen werden, oder sie können mit einem geringen Aufwand zusätzlich erfasst werden.
Über die im System antrainierten Klassifikationsverfahren lassen sich aus den Messwerten weitere Details zu den eigentlichen Ursachen einer sich anbahnenden Störung ableiten. Liegt das Problem in den Lagern eines Antriebs oder in der zugehörigen angetriebenen Mechanik? Ebenso können intelligent analysierte Temperaturverläufe Aufschluss auf den Mangel an Schmiermittel oder übermäßigen Verschleiß von Lagern, Führungen und Kraftübertragungselementen geben, bevor es zum Ausfall kommt.
Unabhängig vom eingesetzten Messverfahren sind allerdings Datenmenge, Datenqualität und lernfähige Analysen entscheidend für die Qualität der Prognosen im Rahmen der Predictive Maintenance. Je genauer die Messwerte, je öfter die Messwerte erfasst werden und je besser trainiert die Analyseverfahren zur Fehlerklassifikation, desto präziser die Grundlage für die Entscheidung, ob eine Komponente umgehend zu warten bzw. tauschen ist oder nicht. Die reine Masse anfallender Daten ist somit weniger die Herausforderung. Es geht um eine gezielte Auswahl und die Erfassung von hochwertigen Datenströmen, und es geht darum, bei der Analyse dieser Datenströme die im jeweiligen Anwendungsfall notwendigen Fachkenntnisse mit erstklassigen Werkzeugen wie denen von DATATRONiQ zusammenzubringen, um schnell zu wirtschaftlich vernünftigen Entscheidungen zu gelangen. Wenn weniger Zeit für Datenanalysen aufgewendet werden muss, bleibt mehr Zeit für die kontinuierliche Weiterentwicklung und Optimierung von Anlagen.